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978-3-437-23731-7
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Evidenzlage: Reduktion der Symptomstärke, Verhinderung einer PTSDPTSD (posttraumatische Belastungsstörung)ProphylaxeEvidenzlageKognitive VerhaltenstherapieWirksamkeit(snachweise)PTSD-ProphylaxeDebriefingPTSD-ProphylaxePsychopharmakotherapiePTSD-ProphylaxeSupportive PsychotherapieWirksamkeitsnachweisePTSD-Prophylaxe
Therapeutische Intervention | Studienlage | Wirksamkeit (Evidenzgrad) |
Supportive Therapie | Keine Metaanalyse, aber einzelne RCTs | Möglicherweise wirksam (II) |
Kognitive Verhaltenstherapie | Cochrane-Review Reduzierung Symptomstärke PTSD-Prävention (Metaanalyse) |
Wirksam (I) |
Debriefing | Cochrane-Review PTSD-Prävention nach Trauma |
Kein Wirksamkeitsnachweis (III) |
Cochrane-Review PTSD-Prävention bei Frauen nach Geburt |
Kein Wirksamkeitsnachweis (III) | |
Pharmakologische Intervention | Cochrane-Review Hydrokortison (Metaanalyse) |
Wirksam (I) |
Propanol | Kein Wirksamkeitsnachweis (III) | |
Escitalopram, Temazepam, Gabapentin | Kein Wirksamkeitsnachweis (III) |
Evidenzlage: Psychotherapie bei Verlust/TrauerVerlusterlebnissepsychodynamische PsychotherapiePsychodynamische PsychotherapieWirksamkeit(snachweise)Trauer/VerlustKognitive VerhaltenstherapieWirksamkeit(snachweise)Trauer/VerlustSupportive PsychotherapieWirksamkeitsnachweiseTrauer/Verlust
Therapeutische Intervention | Studienlage | Wirksamkeit (Evidenzgrad) |
Supportive Therapie | Wenige RCTs | Möglicherweise wirksam (II) |
Kognitive Verhaltenstherapie | Mehrere RCTs Reduzierung Trauersymptome |
Wirksam (I) |
Psychodynamische Therapie | Keine neueren RCTs Ältere RCTs zeigen Effekt auf Trauersymptome |
Möglicherweise wirksam (II) |
Fünf-Phasen-Modell der traumatischen Krise nach Horowitz (1997)
Krisen(situationen) traumatische
-
1.
Protest und Lähmung: z. T. expressive Auflehnung gegen das traumatische Ereignis oder auch psychomotorische und affektive Erstarrung.
-
2.
VerleugnungVerleugnungtraumatische Erlebnisse: In Befinden und Verhalten wird dem traumatischen Aspekt scheinbar nicht entsprochen, dementsprechend findet auch keine innere Auseinandersetzung statt. Gleichzeitig bestehen oft Anspannung, Unruhe, gesteigerte Aktivität, Ängste, Schlafstörungen.
-
3.
IntrusionIntrusionen: Die Beschäftigung mit dem Trauma drängt ins Bewusstsein; es kommt zur inneren Fokussierung auf das Trauma, innere Bilder drängen sich auf mit Grübelneigung, emotionaler Aufgewühltheit, Unruhe, Angst.
-
4.
DurcharbeitenDurcharbeitung(sphase)Trauma, Notfalltherapie: Entwicklung eines inneren Modells des Geschehens; aktive gedankliche und emotionale Auseinandersetzung.
-
5.
Abschluss: Bewältigung des Erlebten durch kognitive und emotionale Einordnung in die Lebensgeschichte.
Personale und umweltbezogene Ressourcen
(nach Egle et al. 2005)
Ressourcen werden in die Notfallpsychotherapie einbezogen und z. T. gezielt durch Ermutigung, Anleitung und Probehandeln gefördert.
Personale Ressourcen
-
•
Dauerhaft gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson
-
•
Intakte Beziehungsstrukturen in der Primärfamilie
-
•
Kompensation durch Großeltern, z. B. bei Elternverlust
-
•
Hohe Intelligenz
-
•
Aktive und kontaktfreudige Grundeinstellung
-
•
Sicheres Bindungsverhalten
-
•
Erfahrung der sozialen Förderung, z. B. in der Schule
Umweltbezogene Ressourcen
-
•
Intakte Beziehungen mit persönlicher Nähe (Partnerschaft, Freunde)
-
•
Sonstige konstante Beziehungspartner
-
•
Gute berufliche Integration
-
•
Sicherer Arbeitsplatz
-
•
Religiöse, kulturelle, politische Orientierung und Bindung
Techniken zur Überwindung der Phase der Verleugnung
(nach Horowitz 1997)
Verleugnung Überwindungstechniken nach Horowitz Traumatisierungen Überwindung der Verleugnungsphase
-
•
Ermutigung zu detaillierter Beschreibung der traumatischen Situation und der hiermit verbundenen Umstände, auch unter Zuhilfenahme von Einfällen und inneren Bildern, szenischer Reinszenierung und künstlerischem Ausdruck
-
•
Präzise Rekonstruktion des traumatischen Geschehens
-
•
Exploration des emotionalen Erlebens in der Traumasituation
-
•
Reduktion von exzessiver Kontrolle durch Interpretation von Abwehrmanövern und kontraproduktiven Verhaltensweisen
-
•
Förderung von Abreaktion und Katharsis
-
•
Förderung aktueller sozialer Beziehungen
Methoden der supportiven Psychotherapie bei Trauer nach Verlust (in Anlehnung an Novalis et al. 1993)
Supportive Psychotherapie Trauer nach Verlust
-
•
Erhebung der Verlust-/Todesumstände
-
•
Über die Beurteilung/Einstellung zum Verlustereignis sprechen
-
•
Akzeptanz der unrealistischen Anschauungen des Patienten in der unmittelbaren Verlustsituation (z. B. Selbsteinschätzung, Identifikation mit dem Toten, Sehnsucht nach Rückkehr des Toten, Suchen nach dem Toten)
-
•
Wut, Ärger und Rachegefühle gegenüber dem Verstorbenen ansprechen
-
•
Ermutigung zu Trauerritualen
-
•
Kontexterweiterung durch Hinzunahme geeigneter Perspektiven, z. B. religiöser, philosophischer oder sozialer Natur
-
•
Gabe von Medikamenten
-
•
Unterstützung bei täglichen Aktivitäten
-
•
Unterstützung bei der Aufnahme neuer Beziehungen
-
•
Unterstützung bei erhöhter allgemeiner Verletzlichkeit
-
•
Selbsthilfegruppen (Vorsicht im Hinblick auf Chronifizierung!)
Risikofaktoren für Suizidgefährdung
Empirische Risikofaktoren
-
•
Psychische Konflikte/Erkrankungen: Lebens-, insb. Partnerschaftskrisen, Depression, Suchterkrankung, Schizophrenie/schizophrenieartige Psychosen
-
•
Chronisch und schwer körperlich Kranke
-
•
Suizidversuche in der Anamnese
-
•
Demografische Faktoren: Jugendliche, höheres Alter (> 65. Lj.), geschieden/getrennt lebend. Besonders gefährdet: allein lebende Männer > 65 Jahre.
-
•
Soziale Integration: allein lebend, vereinsamt, arbeitslos
-
•
Menschen in helfenden Berufen (z. B. Ärzte)
Klinische Risikokonstellation („präsuizidales Syndrom“)
-
•
Einengung (situativ, dynamisch, interpersonell, in Bezug auf Werte)
-
•
Wendung der Aggression gegen das eigene Selbst
-
•
Suizidgedanken/-fantasien
Intervention bei Suizidgefährdung
-
•
Herstellung einer therapeutischen Beziehung unter Vermittlung von Verständnis und Hilfsbereitschaft
-
•
Konkrete Ansprache der Suizidgedanken/-absichten
-
•
Klärung der auslösenden Situation (Kränkung, Verzweiflung)
-
•
Diagnostik einer zugrunde liegenden psychischen Problematik/Erkrankung
-
•
Vorsichtiges und überlegtes Aufzeigen von Perspektiven (z. B. Konfliktlösung, Behandlung)
-
•
Einbeziehung signifikanter Beziehungspersonen
-
•
Sichernde Fürsorge, d. h. hohe Kontaktfrequenz und -intensität, bei Zuspitzung der Suizidalität Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik
-
•
Sedierung durch Benzodiazepine
-
•
„Antisuizidales Bündnis“ nur, wenn tragfähige Beziehung und Hoffnung auf Besserung der Situation besteht
Häufige Fehler in der Behandlung Suizidgefährdeter
(nach Reimer 1986)
-
•
Trennungsängste übersehen (z. B. bei Urlaub des Behandlers, Entlassung)
-
•
Provokation persönlich nehmen (statt als Inszenierung von Ablehnung zu verstehen)
-
•
Bagatellisierungstendenzen mitmachen
-
•
Frühzeitige und einseitige Betonung der (unbewussten) Aggressionsproblematik
-
•
Voreilige „antisuizidale“ Pakte
-
•
Mangelhafte Exploration der Umstände, die jetzt oder früher zur Suizidalität geführt haben
-
•
Verzicht auf Fremdanamnese
-
•
Zu rasche Suche nach positiven Veränderungsmöglichkeiten (Abwehr)
-
•
Einteilung in vermeintlich „demonstrative“ bzw. „ernst gemeinte“ Suizidversuche
Notfallsituationen
Kernaussagen
-
•
Psychische Krisen stellen sich störungsübergreifend als Notfallsituationen dar.
-
•
Psychische Krisen lassen sich aus der individuellen klinischen, aus der interpersonellen und aus der kausalen Perspektive beschreiben.
-
•
Es lassen sich Veränderungskrisen und traumatische Krisen unterscheiden. Die Veränderungskrise entsteht in einer veränderten Lebenssituation und führt zu einem Gefühl des Versagens, in dem der Betroffene seine Kräfte mobilisiert, dann jedoch hierin erneut versagt, woraufhin es zum Vollbild der Krise kommt. Die traumatische Krise beginnt demgegenüber zunächst mit einem Schock, der mit Protest und Lähmung verbunden ist und verläuft dann in fünf Phasen. Therapeutisch ist hierbei wichtig, dass der Patient in den einzelnen Phasen nicht arretiert, sondern die Phasen mit entsprechender Hilfe durchlaufen kann.
-
•
Als Basisverfahren in Notfallsituationen wird supportive Psychotherapie zur Verfügung gestellt, die sowohl in psychodynamischer als auch kognitiv verhaltenstherapeutischer Herangehensweise erfolgen kann.
-
•
Störungsorientierte psychotherapeutische Verfahren kommen bei akuter Belastungsreaktion und zur Prävention der posttraumatischen Belastungsstörung nach einem Trauma zur Anwendung, wobei insbesondere kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und psychodynamische Verfahren evidenzbasiert eingesetzt werden.
-
•
Die Psychotherapie bei Verlust kommt vor allem im Hinblick auf die Bewältigung von Trauer zum Einsatz, wobei wiederum sowohl KVT als auch psychodynamische Verfahren angewendet werden können. Wichtig ist die Hilfe beim Durchlaufen der einzelnen Phasen des Trauerprozesses.
-
•
Die Psychotherapie von Suizidalität erfolgt anhand von Grundprinzipien unter pragmatischem Aspekt, wobei bei neurotisch bestimmtem Hintergrund psychodynamisch an der Narzissmustheorie orientiert vorgegangen werden kann.
-
•
Fehlermöglichkeiten in der Behandlung von Suizidgefährdeten erfordern besondere Beachtung.
36.1
Notfallsituation psychische Krise
-
•
Aus der individuellen klinischen Perspektive im Sinne von Befinden, Symptomen und Verhalten ist eine Krisensituation durch eine bis zur Unerträglichkeit zunehmende innere Anspannung gekennzeichnet. Hinzu treten sehr unterschiedliche Symptome wie Angst, traurige Verstimmung, Gefühle der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins, Suizidgedanken, Verwirrtheit, erhöhte Irritabilität, Wut, aber auch motorische Unruhe, Schlafstörungen, impulsives Verhalten und Fehlhandlungen.
-
•
In der interpersonellen Perspektive imponiert besonders die konflikthafte Belastung der Beziehungen mit zunehmender Aggression und/oder auch Rückzug, beides ggf. bis zum Zerbrechen der Beziehung.
-
•
Aus der kausalen Perspektive haben sich im Wesentlichen zwei Erklärungsstränge herausgebildet: Die individuelle Krise kann als akute Zuspitzung einer vorliegenden psychischen Erkrankung aufgefasst werden, ausgelöst durch ein Lebensereignis und/oder im Rahmen der Eigendynamik der Erkrankung.
-
1.
Zunächst erfolgt die Konfrontation mit der veränderten Lebenssituation.
-
2.
Hierin entsteht ein Gefühl des Versagens.
-
3.
Der Betroffene mobilisiert seine Kräfte zur Bewältigung der Situation, versagt aber.
-
4.
Hierauf kommt es zum Vollbild der Krise.
-
5.
Diese Situation kann bewältigt werden oder zur Resignation und ggf. Chronifizierung der Problematik/Symptomatik führen.
Merke
Eine komplementäre Dialektik findet sich unter der Perspektive der Störungsorientiertheit: Die Ähnlichkeiten unterschiedlicher krisenhafter Zuspitzungen gerade in Notfallsituationen erfordern eine störungsübergreifende Interventionstechnik, die Kenntnis des Krisenhintergrunds, einer vorbestehenden psychopathologischen Symptomatik und der personalen Entwicklungsmomente hingegen eine störungsbezogene Intervention. Hierbei geht es weniger um eine sukzessive Abfolge dieser beiden Interventionsoptionen als vielmehr um ihre gegenseitige Durchdringung.
36.1.1
Prinzipien der Psychotherapie in der Notfallsituation: supportive Psychotherapie
Voraussetzungen
Behandlungsziele
-
•
Aus psychodynamischer Sicht führt eine äußere BelastungssituationBelastungsreaktionenpsychische Regression in Abhängigkeit von ihrem Schweregrad zu einem Zustand psychischer RegressionRegression, Belastungssituationen, in dessen Rahmen sich eine Person hinsichtlich der Entwicklung ihrer Ich-Fähigkeiten auf ein bereits überwundenes Niveau zurückzieht und damit – je nach Ausmaß der Regression – wichtige umweltadaptive, aber auch ich-strukturelle Fähigkeiten einbüßt (Hartmann 1972; Kernberg 2000). Hierunter kommt es zu inadäquaten Handlungen, Rückzug aus dem sozialen Umfeld sowie intrapsychisch zur Überflutung mit Angst- und Spannungsgefühlen, Lockerung der Impulskontrolle sowie verminderter Fähigkeit zur Sublimierung.
-
•
Aus Sicht der VerhaltenstherapieVerhaltenstherapieTraumaTraumatisierungenVerhaltenstherapie soll durch verbesserte Verarbeitungsmöglichkeiten eine Reduzierung der Belastungssymptome erzielt werden, die als Ergebnis einer nicht adäquaten emotionalen Verarbeitung eines Traumas bewertet werden. Dabei wird AngstAngstTrauma als eine kognitive Struktur angesehen, die die Repräsentationen der gefürchteten Reize und der Reaktionen auf Furcht und der damit verbundenen Bedeutungen enthält. Zur Reduzierung der Angst müssen pathologische Furchtstrukturen modifiziert werden. Dabei gilt es, die Erinnerung an die Angsterfahrung während des Traumas zu reaktivieren und neue Informationen zur Verfügung zu stellen, die mit den pathologischen Furchtstrukturen nicht vereinbar sind, um so neue Erinnerungen zu bilden (Rothbaum et al. 2003). Dysfunktionale KognitionenKognition(en)dysfunktionalenach TraumaDysfunktionale Kognitionennach Trauma nach TraumataTraumatherapiedysfunktionale Kognitionen stehen nicht nur bei verhaltenstherapeutischen Störungsmodellen, sondern auch bei psychodynamischen Konzepten (z. B. Horowitz 2003) als wesentliches behandlungsbedürftiges Merkmal im Mittelpunkt. Wichtige gedankliche Veränderungen in der Sicht zu sich selbst, den anderen und der Welt sind
-
a.
Vertrauensverlust gegenüber anderen Menschen (z. B. „Die Menschen sind abgrundtief schlecht“),
-
b.
Überzeugung von anhaltender Verletzbarkeit,
-
c.
generalisierte Entfremdungsgefühle und
-
d.
der Eindruck der eingeschränkten Zukunftsperspektive (Maercker 2005).
-
-
•
Im Rahmen der direkten Ich-StärkungIch-Stärkungdirekte wird auf folgende Ich-Fähigkeiten fokussiert: Förderung der Realitätsprüfung, Nutzung der psychischen Ressourcen, Unterstützung der Impulskontrolle durch kognitive Intervention, Reduktion des Angstniveaus und Stützung des Selbstwertgefühls.
-
•
Indirekte Ich-StärkungIch-Stärkungindirekte findet statt durch Verminderung äußerer Belastungen, Entlastung von Schuld- und Schamgefühlen und Entlastung bei Triebbedürfnissen (z. B. Eingehen auf Abhängigkeitswünsche).
Therapeutische Beziehung
Merke
Im Gegensatz zu den psychodynamischen Verfahren wird mit diesem Beziehungsanteil aber nicht aktiv therapeutisch gearbeitet, auch wenn die Analyse der Gegenübertragung diagnostisch wichtige Hinweise im Hinblick auf die Persönlichkeit des Patienten und ihre unbewussten Konflikte liefern kann.
Merke
Die Empathie des Therapeuten wird in der SP ausschließlich zur Unterstützung der persönlichen Fähigkeiten des Patienten eingesetzt, nicht oder nur geringfügig zur Arbeit an unbewussten Motiven/Konflikten.
Interventionen und Techniken
-
1.
Auf der Ebene der KommunikationKommunikation(sfähigkeit)supportive Psychotherapie wird zugehört, beobachtet, Empathie entwickelt, kommentiert, ermutigt.
-
2.
Im Rahmen der KonfrontationKonfrontation(sverfahren)supportive Psychotherapie werden Inkonsistenzen im Verhalten und Ziel-Motivations-Konflikte thematisiert.
-
3.
Die dritte Eben ist durch KlarifikationKlarifikation, supportive Psychotherapie, Erklärung und Interpretation bestimmt, wobei jeweils deutlich überwiegend auf reale Äußerungen und Handlungen fokussiert und die Interpretation möglicher unbewusster Motive eher vermieden wird.
Merke
Da besonders in Notfallsituationen schnelle und ausreichende Hilfe geboten ist, kann der Verzicht auf Medikamente den Behandlungsfortschritt blockieren, was aber nicht heißt, dass in jeder Notfallsituation eine Psychopharmakotherapie indiziert ist (Kap. 8).
36.2
Störungsorientierte psychotherapeutische Verfahren
36.2.1
Psychotherapie bei Exazerbation psychischer Störungen
36.2.2
Psychotherapie bei akuter Belastungsreaktion und zur Prävention der PTSD nach Trauma
Merke
Im Hinblick auf die Notfalltherapie bedeutsam ist die Beobachtung, dass das Vorliegen von Symptomen einer akuten Stressreaktion offenbar einen wichtigen Risikofaktor für die Entwicklung einer PTSD darstellt (z. B. Frommberger et al. 1998; Koren et al. 1999; Murray et al. 2002).
-
•
Hilfeleistung zur Bewältigung der akuten Belastungs-/Stressreaktion
-
•
Prävention einer PTSD oder anderer länger anhaltender Störungen (vgl. auch Kap. 20)
-
•
Das Hilfsangebot muss schnell und flexibel zur Verfügung gestellt und dem Betroffenen einschließlich seiner zeitlichen Limitierung (5–6 Sitzungen, ggf. stationäre Behandlung) erklärt werden.
-
•
Das soziale Umfeld sollte – wann immer möglich – einbezogen werden.
-
•
Die therapeutische Grundhaltung sollte von Klarheit und Eindeutigkeit geprägt sein und sich vom empathischen Zuhören hin zum Handeln bzw. zum Anleiten desselben bewegen.
-
•
Stufe 1: psychische Erste Hilfe durch Rettungsdienst oder Polizei
-
•
Stufe 2: psychosoziale Akuthilfen einschl. Bedürfnis- und Bedarfserhebung und Indikationsstellung durch regional jeweils verfügbare Anbieter
-
•
Stufe 3: psycho(trauma)therapeutische Frühintervention und längerfristige Unterstützung im sozialen Netzwerk mithilfe spezifischer psychotherapeutischer Verfahren. Während der Evidenzgrad für die Effektivität der (allerdings meist notwendigen) beiden ersten Stufen als gering eingeschätzt wird (III), ist der Evidenzgrad spezifischer Interventionen wie z. B. der KVT wesentlich höher (I).
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Psychodynamische Verfahren
-
•
Traumadynamischer Aspekt: Störung des natürlichen Ablaufs durch Stagnation auf einer Ablaufstufe (z. B. auf der Verleugnungsebene)
-
•
Persönlichkeitsstruktureller und symptomatischer Aspekt: Auftreten von qualitativ pathologischen Verhaltensweisen und Symptomen: Dissoziation, Verwirrtheit, Gedächtnisverlust, Panik, schwere Depression, Psychotizität im Sinne herabgesetzter Realitätskontrolle, wahnhafte Ideation, extreme Umtriebigkeit
-
1.
sog. „persönlichkeitstypische Erlebniszustände“, mit denen personale Erlebensmuster gemeint sind, die sich vor dem Hintergrund der Persönlichkeit aufgrund nicht überwundener Traumaspuren (Traumaschemata) entwickeln;
-
2.
die Bedeutung des Verhältnisses von Verleugnung/Vermeidung und Auseinandersetzung inkl. Intrusion;
-
3.
die prozessuale Dynamik der Trauerreaktion, die nach Abschluss strebt. Ein Abschluss ist dann erreicht, wenn eine Person das Trauma in ihre Identität integriert hat und damit fähig ist, emotionale und bildhafte Erinnerungen hervorzurufen, ohne sich darin verstricken zu lassen.
Merke
Alles in allem liegt derzeit für die Wirksamkeit von psychodynamischer Therapie bei der AB aufgrund des Fehlens von RCTs lediglich ein geringer Evidenzgrad (IV) vor.
Debriefing
Pharmakotherapie
Resümee
Zur Behandlung der akuten Belastungsstörung und zur Verhinderung von PTSD im Rahmen der Notfallbehandlung ergibt sich hinsichtlich der Wirksamkeit die in Tab. 36.1 im Überblick dargestellte Evidenzlage.
Gegenüber einem vermutlich zu breiten oder sogar verpflichtenden Einsatz entsprechender Frühinterventionen scheint eher ein spezifischer psychotherapeutischer Einsatz bei Personen mit Belastungsreaktionen (Byrant et al. 1999) sinnvoll zu sein (Wessely und Deahl 2003), wobei nach der gegenwärtigen Evidenzlage KVT der Vorzug zu geben ist. Zur evtl. effektivitätssteigernden Kombination mit Pharmakotherapie liegen keine Daten vor.
36.2.3
Psychotherapie bei Verlust
-
1.
Körperlicher Stress
-
2.
Beschäftigung mit dem inneren Abbild des Verstorbenen
-
3.
Schuldgefühle
-
4.
Feindselige Gefühle
-
5.
Verlust üblicher Verhaltensmuster
Supportive Psychotherapie
Merke
Insgesamt zeigt sich in den genannten Untersuchungen, dass bei der PKT spezifische Verfahren wie KVT oder PDT offenbar effektiver sind als supportive Therapie (in den Studien angewandt im Sinne von Counselling).
Kognitive Verhaltenstherapie
-
1.
Klärung (Einsicht in problematische Überzeugungen, Orientierung über Trauer und Symptome, Normalisierung erlebter Gedanken und Gefühle, Motivation, Neuorientierung)
-
2.
Bewältigungsorientierte Methoden (Konfrontation mit vermiedenen Reizen, Veränderung problematischer Kognitionen, soziales Kompetenztraining, korrektive Erfahrungen, Genusstraining, Aufmerksamkeitsdissoziation)
-
3.
Ressourcenaktivierung (soziale Kompetenzaktivierung, Aktivierung positiver Gefühle, soziale Netzwerkaktivierung, positive Erfahrung mit verstorbenen Menschen)
-
4.
Problemaktivierung (Thematisieren und Symbolisieren des Verlusts, Ansprache und Konfrontation schmerzhafter Gefühle, Ausdruck für Trauer und Rekonstruktion der Beziehung zum Verstorbenen)
Psychodynamische Therapie
-
•
Aufforderung an den Patienten, sein Verständnis der momentanen Krise und ihrer Auslösung zu benennen (subjektive Psychodynamik)
-
•
Erinnerung des Patienten an frühere Krisen, deren Auslöser und mögliche Gemeinsamkeiten mit der bestehenden Krise
-
•
Überlegungen zu Zusammenhängen zwischen aktueller Krise, früheren Krisen und relevanten lebensgeschichtlichen Zusammenhängen (z. B. Verluste, schwere Niederlagen/Kränkungen/Enttäuschungen, Existenzbedrohungen etc.)
Resümee
So vielfältig die klinischen Erfahrungen mit der Begleitung und Behandlung von Trauernden sind und so wichtig diese Arbeit auch genommen werden muss, so sehr fehlt es an empirisch validen Studien in diesem Bereich. Dieses Defizit ist insbesondere angesichts der Tatsache problematisch, dass die Entstehung einer persistierenden komplexen TrauerreaktionTrauer(reaktion)persistierende komplexe aus der normalen Trauersituation hinaus als ernst zu nehmende pathologischeTrauer(reaktion)pathologische Variante des Trauerprozesses angesehen werden muss. In einem systematischen Review mit Metaanalyse werden die Ergebnisse von 14 RCTs (verschiedene Behandlungsverfahren) zur Behandlung von PKT dargestellt und hinsichtlich ihrer Effektivität bewertet (Wittouk et al. 2011). Obwohl die Studienlage inkonsistent ist und wenig Hinweise darauf bestehen, dass durch eine rechtzeitige Behandlung die Entstehung eine PKT vermieden werden kann, so zeigen sich doch quantitativ bewertbare positive Einflüsse auf die Besserung der Symptomatik der PKT. Insbesondere zeigt die Metaanalyse eine Überlegenheit einer längerfristigen gegenüber einer kurzfristigen Vorgehensweise. Insgesamt gesehen scheint die Effektivität der KVT bei der Behandlung der PKT bisher am besten belegt (Evidenzgrad I).
36.2.4
Psychotherapie bei Suizidalität
-
•
Der epidemiologische Aspekt SuizidalitätFeststellungim Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe (Box 36.5) muss Berücksichtigung finden.
-
•
Unter klinischem Aspekt im Sinne einer Beschreibung des Weges in den Suizid hat sich bis heute eine Orientierung am sog. „präsuizidalen SyndromPräsuizidales Syndrom“ (Ringel 1997) als nützlich erwiesen. In diesem Sinne liegt Suizidalität dann vor, wenn die entsprechenden Kriterien (Box 36.5) erfüllt sind.
-
•
Erwägungsphase: Der Suizid wird als Problemlösungsmöglichkeit überdacht.
-
•
Ambivalenzphase: ist durch Suizidabsichten einerseits und dem Wunsch nach Hilfe andererseits gekennzeichnet; so werden z. B. in vielen Fällen Suizidgedanken angedeutet oder offen ausgesprochen.
-
•
Entschlussphase: Es liegen bereits eine feste Suizidabsicht und ein entsprechender Plan mit Handlungsvorbereitungen vor; die Betroffenen wirken gefasst und eigentümlich distanziert („Ruhe vor dem Sturm“).
Allgemeine Empfehlungen
Spezifische Vorgehensweisen
-
1.
Zunächst wird mit den Patienten ein auf Video aufgenommenes detailliertes narratives Interview geführt, in dem die Entwicklung zur suizidalen Krise fokussiert wird.
-
2.
In einer 2. Sitzung wird das Video mit dem Patienten zusammen angesehen und der Versuch unternommen, für den Patienten wichtige, aber bedrohte Lebensthemen zu identifizieren.
-
3.
In einer weiteren Sitzung werden spezifische Muster und Abläufe herausgearbeitet, die zur suizidalen Krise geführt haben. Dabei wird auf die Möglichkeit längerfristiger Therapien sowie auf Warnsignale bzw. Strategien beim Eintreten einer neuen suizidalen Krise eingegangen.
-
4.
Im Rahmen einer 4. (fakultativen) Sitzung wird die Möglichkeit gegeben, mithilfe einer „Mini-Exposition“ durch Anschauen des Videos aus der 1. Sitzung die erarbeiteten antisuizidalen Strategien einzuüben.
Fehler im Umgang mit Suizidalität
36.3
Ausblick
Literaturauswahl
Boelen et al., 2007
Bryant et al., 2014
Forneris et al., 2013
Kersting et al., 2013
Kornør et al., 2008
Leichsenring et al., 2015
Reimer and Rüger, 2006
Roberts et al., 2010
Rupp, 2010
Shear et al., 2011