Definition und Basisinformation
Akute Leukämien sind charakterisiert durch Proliferation und Akkumulation maligne entarteter, unreifer Zellen der Hämatopoese, sog. Blasten, im Knochenmark, im Blut und zum Teil auch in anderen Organen (Lymphknoten, Leber, Milz, ZNS = Meningeosis leucaemica; seltener Hoden, Haut = Leucaemia cutis, Knochen), mit Unterdrückung der normalen Blutbildung.
Akute Leukämien treten in allen Altersstufen auf. Im Kindesalter sind über 90% akute lymphatische Leukämien (ALL), während akute myeloische Leukämien (AML) mit ihren Unterformen mit ca. 80% häufiger im Erwachsenenalter sind. Etwa die Hälfte aller Patienten mit AML ist über 70 Jahre alt. Die Inzidenz beträgt für die ALL 1,5/100.000, für die AML 3–4/100.000 pro Jahr mit einem leichten Übergewicht der Männer (L1).
Zunehmend werden akute myeloische Leukämien nach erfolgreicher Chemo-/Strahlentherapie anderer maligner und nicht maligner Erkrankungen diagnostiziert (therapieassoziierte Leukämie = t-AML). Ein Teil der AML entwickelt sich sekundär aus einem myelodysplastischen, myeloproliferativen oder myelodysplastisch/myeloproliferativen Syndrom (Sekundärleukämie = s-AML).
Akute Leukämien werden mit kurativem Ziel behandelt. Mit zunehmendem Alter wird die Prognose schlechter, u.a. aufgrund des ansteigenden Anteils an Patienten mit ungünstigen Prognosefaktoren, aber auch infolge zunehmender Komorbidität. S-AML sprechen schlechter auf die Therapie an als De-novo-AML und t-AML (1).
Klassifikation und Diagnostik
Die Einteilung erfolgt mit zytologischen/histologischen, zytochemischen, immunologischen und zytogenetischen/molekulargenetischen Verfahren (L2). Aktuelle Standards für diese Verfahren hat das Kompetenznetz akute und chronische Leukämien und das European Leukemia Net (ELN) definiert (L3, L4). Eine umfassende Diagnostik ist zur Auswahl einer differenzierten Therapie notwendig. Nach der Linienzugehörigkeit der Blasten werden AML und ALL unterschieden. Eine akute undifferenzierte Leukämie (AUL) wird in ca. 1% der Fälle diagnostiziert. Noch seltener liegt eine akute biphänotypische Leukämie vor.
Die WHO-Klassifikation kombiniert Morphologie, Immunphänotyp, genetische, molekulare und klinische Besonderheiten (
› Tab. B.6-1; 2). Für die Diagnose einer AML in Abgrenzung zu myelodysplastischen Syndromen (› Beitrag B 7) ist ein Blastenanteil im Knochenmark von > 20% gefordert. Eine Ausnahme stellt der Nachweis von speziellen zytogenetischen Anomalien – t(8;21), inv16, t(15;17) – dar, bei denen der Blastenanteil von mindestens 20% zur Diagnosestellung nicht erfüllt sein muss (L2). Für die Diagnose der AML ist der Nachweis von Myeloperoxidase (MPO)/Sudanschwarz in den Blasten entscheidend. Bei niedrigem Anteil MPO-positiver Blasten werden weitere Marker in der Immuntypisierung zur Abgrenzung einer ALL oder AUL eingesetzt. Die immunologische Klassifikation ermöglicht es, neben der Abgrenzung zur ALL, insbesondere eine AML mit minimaler Differenzierung, die Erythroleukämie und eine megaloblastäre AML zu diagnostizieren. Wichtige Marker zur Immuntypisierung sind in den ELN-2017-Empfehlungen gelistet (L3). In der WHO-Klassifikation 2016 werden
NPM1- und biallelische
CEBPA-Mutationen als eigenständige AML-Entitäten definiert. Als provisorische Entität wurden die AML mit mutiertem
RUNT-related transcription factor 1
(RUNX1) als auch mit
BCR-ABL1 aufgenommen. Eine wichtige weitere Neuerung ist die Aufnahme der myeloischen Neoplasien mit Keimbahnprädisposition (z.B. durch Mutationen in
DDX41, ETV6 etc.), zu denen auch die AML gehören kann (L2).
Zytogenetik/Molekulargenetik der AML
Bei 50–60% der AML können chromosomale Aberrationen nachgewiesen werden, die zusammen mit ausgewählten Genmutationen derzeit den wichtigsten prognostischen Parameter darstellen (3, 2). In der WHO-Klassifikation 2016 werden sieben Untergruppen der AML durch spezifische balancierte Translokationen bzw. Inversionen sowie eine provisorische molekulare Untergruppe definiert (
› Tab. B.6-1). Dazu gehören die Core-Binding-Factor-AML, definiert durch die t(8;21) und die inv(16)/t(16;16), die akute Promyelozytenleukämie (APL), definiert durch die t(15;17), und die AML mit t(9;11), die AML mit t(6;9), die AML mit den spezifischen Aberrationen des Chromosoms 3 – inv(3) und t(3;3) – sowie die AML mit t(1;22). Als weitere Entität gilt die AML mit Mutationen in
NPM1 oder biallelischen
CEBPA sowie provisorisch Entitäten AML mit
RUNX1-Mutation und AML mit
BCR-ABL1. Zu beachten ist, dass die Core-Binding-Factor-AML und die Promyelozytenleukämie auch solche Fälle einschließen, bei denen der Blastengehalt im Knochenmark < 20% liegt.
Molekulargenetische Untersuchungen spielen eine immer wichtigere Rolle. So wurde gezeigt, dass aktivierende FLT3-Mutationen, insbesondere die interne Tandemduplikation (FLT3-ITD) mit einer hohen Allellast (≥ 0,5; 3) in den Leukämiezellen, mit einer ungünstigen Prognose, biallelische Mutationen von CEBPA (4) mit einer günstigen Prognose assoziiert sind. Durch die Möglichkeiten des Whole Genome Sequencing (Sequenzierung des gesamten Genoms) sowie des Next Generation Sequencing, einer Hochdurchsatzsequenzierung, konnten neue rekurrente Aberrationen bei AML-Patienten entdeckt werden (5). Hierzu gehören z.B. Genmutationen in IDH1 und IDH2, die für Enzyme im Zitratzyklus kodieren, wie auch Mutationen in DNMT3A, ein Gen, das für eine DNA-Methyltransferase kodiert. Weitere neue Klassen von Genmutationen bei AML sind Mutationen in Splicing- und Cohesin-Genen. Da die Anzahl an bekannten Genmutationen in den letzten Jahren rasant zugenommen hat, lassen sich bereits bei > 90% der AML-Patienten Genmutationen nachweisen (5).
Aktivierende FLT3-Mutationen finden sich bei 20–25% der Patienten mit normalem Karyotyp (3) und bei 30–40% der Patienten mit APL. Es wurde gezeigt, dass die Allellast von FLT3-ITD für den prognostischen Einfluss ausschlaggebend ist. So haben Patienten mit niedriger Allellast (FLT3-ITD < 0,5) eine deutlich bessere Prognose als mit hoher Allellast (≥ 0,5; L3, 3). Gegenstand der aktuellen Forschung sind Genmutations- und -expressionsanalysen, mit deren Hilfe die zytogenetisch definierten Subgruppen ebenfalls identifiziert werden können (5). Darüber hinaus erlaubt diese Methode die Definition von Subgruppen mit prognostischer Relevanz (6). Gegenstand der aktuellen Forschung sind zudem die epigenetischen Veränderungen, die durch Modifikation der DNA-Methylierung oder der Histone bei AML auftreten.
Klassifikation der ALL
Die Klassifikation der ALL basiert auf dem Immunphänotyp der Blasten. Die morphologische Klassifikation nach FAB wird nicht mehr verwendet. Die L3-Morphologie entspricht dem leukämischen Burkitt-Lymphom. Die ALL werden als T- bzw. B-lymphoblastische Neoplasien mit einem Knochenmarkblastengehalt > 25% definiert. Die Subklassifikation erfolgt nach der Expression unterschiedlicher Antigene an der Oberfläche bzw. im Zytoplasma der Blasten (
› Tab. B.6-2). Die Therapie der ALL wird subtypenspezifisch und risikoadaptiert durchgeführt (
› Tab. B.6-3). Deshalb ist die Immunphänotypisierung zwingend erforderlich. Der größte Teil der ALL des Erwachsenen (75%) sind maligne Erkrankungen der B-Zellreihe, die je nach Differenzierungsgrad als pro-B-ALL, common-B-ALL, prä-B-ALL und reifzellige B-ALL klassifiziert werden; 25% der ALL des Erwachsenen gehören zur T-Zellreihe mit den Differenzierungsgraden Pro-T-ALL, Prä-T-ALL und reifzellige T-ALL.
Zytogenetik/Molekulargenetik der ALL
Die wichtigsten chromosomalen Aberrationen bei der ALL der B-Zellreihe sind die Philadelphia-Translokation t(9;22) bzw. auf molekularer Ebene das bcr/abl-Rearrangement und die Translokation t(4;11). Der Anteil der bcr/abl-positiven ALL steigt mit zunehmendem Alter deutlich an und liegt bei ca. 25% im Erwachsenenalter. Der qualitative und quantitative molekularbiologische Nachweis des bcr/abl-Rearrangements und des patientenspezifischen Rezeptor-Gen-Rearrangements der ALL-Blasten sind wichtige Bestandteile sowohl der initialen als auch der Verlaufsdiagnostik, wo sie zur Steuerung der Therapie innerhalb moderner Therapiestrategien unerlässlich sind (7). Analog zur AML sind Genexpressionsanalysen (8), Matrix-CGH, Proteom und epigenetische Analysen Gegenstand der aktuellen Forschung. Durch die Genexpressionsanalyse konnte eine neue Subgruppe der ALL, die BCR-ABL-like ALL, identifiziert werden, die ein ähnliches Genexpressionsprofil bei gleichzeitigem Fehlen von BCR-ABL wie die bcr/abl-positive ALL auszeichnet (9). Die Untersuchung spezieller Kinase-Fusionen bei der Ph-like ALL hat eine hohe therapeutische Implikation, da ggf. spezielle Kinaseinhibitoren eingesetzt werden können.
Therapie
Allgemeine Therapieprinzipien
Die Therapie der akuten Leukosen wird in mehrere Phasen unterteilt: Unterschieden werden Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie (L3). Ziel der Induktionstherapie ist die Induktion einer kompletten Remission (CR) der Erkrankung. Das Erreichen einer CR ist Grundvoraussetzung für ein Langzeitüberleben bzw. die Heilung der Erkrankung. Die Therapieabschnitte Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie dienen der Aufrechterhaltung der kompletten Remission und werden unter dem Begriff der Postremissionstherapie zusammengefasst. Unter dem Begriff der Konsolidierungstherapie werden auch die autologe und allogene Knochenmark- bzw. Blutstammzelltransplantation subsumiert.
Induktionstherapie der AML
Die Standardinduktionstherapie der AML besteht seit Jahren aus einer Kombination von Cytarabin und einem Anthrazyklin, kombiniert in dem sog. 7+3-Schema, durch das bei 65–75% der Patienten < 60 Jahre eine CR induziert werden kann (L3). Bei Patienten > 60 Jahre sinkt die CR-Rate innerhalb kontrollierter Studien auf 45–55% ab, wobei in dieser Altersgruppe eine erhebliche positive Selektion für die Studienpopulationen besteht und somit die wahre CR-Rate aller Patienten > 60 Jahre vermutlich noch schlechter ist. Innerhalb kontrollierter klinischer Studien wurden verschiedene Strategien zur Verbesserung der Ergebnisse der Induktionstherapie geprüft. Dabei zeigte sich in Bezug auf die Zielgröße CR-Rate kein Unterschied zwischen den verschiedenen Anthrazyklinen (Daunorubicin, Idarubicin, Mitoxantrone), keine Verbesserung durch den Einsatz von hoch dosiertem Cytarabin (18–24 g/m2) oder dem „G-CSF-Priming“ sowie der Modulation des Multiple-Drug-Resistence-Proteins. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass sowohl jüngere AML-Patienten (< 60 Jahre; 10) als auch ältere AML-Patienten im Alter zwischen 60 und 65 Jahren von einer höheren Daunorubicin-Dosis von 90 mg/m2 im Vergleich zu 45 mg/m2 profitieren (11). Allerdings wurde im randomisierten Vergleich Daunorubicin 90 mg/m2 vs. 60 mg/m2 keine Verbesserung in der Gesamtgruppe erzielt (12). Lediglich in der Subgruppe der FLT3-ITD-positiven Patienten war die höhere Dosis mit einer Reduktion der Rezidivraten vergesellschaftet.
Das G-CSF-Priming und der Einsatz von hoch dosiertem Cytarabin führte allerdings in Subgruppen zu einem besseren krankheitsfreien Überleben. Aktuelle kontrollierte Therapiestudien untersuchen den Einfluss von Histondeacetylase-Hemmern, demethylierenden Substanzen, Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), Checkpoint-Inhibitoren sowie BCL-2-Hemmern und anderen Substanzen auf die CR-Rate und das krankheitsfreie Überleben. Durch die Ergänzung von Gemtuzumab-Ozogamicin (GO) zur Induktionstherapie konnte ebenfalls eine Reduktion der Rezidivrate erreicht werden. Darüber hinaus führte die Addition von GO zur Induktionstherapie in einer großen Metaanalyse zu einer Verbesserung von ereignisfreiem Überleben (EFS), rezidivfreiem Überleben (RFS) und Gesamtüberleben (OS). GO stellt ein Immunkonjugat dar, das aus einem monoklonalen CD33-Antikörper und einem bakteriellen Toxin besteht (13).
Besonderes Interesse besteht hinsichtlich der Inhibition von FLT3 durch TKI bei Patienten, die eine FLT3-ITD aufweisen. Inwieweit TKI in Kombination mit einer Chemotherapie die Langzeitergebnisse dieser prognostisch ungünstigen Patientengruppe verbessern, wurde durch eine internationale randomisierte Phase-3-Studie untersucht. In dieser Studie zeigte sich ein Vorteil im EFS, RFS und OS für Patienten, die mit Midostaurin behandelt wurden (35). Die eingesetzten TKI unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Spezifität für die Bindung an FLT3. AC220 (Quizartinib) beispielsweise, ein vielversprechender TKI für FLT3-ITD-positive AML, bindet nicht nur an FLT3, sondern auch an KIT, PDGFRA, PDGFRB und RET.
Konsolidierungstherapie der AML
Moderne Untersuchungsverfahren ermöglichen, auch bei Vorliegen einer CR nach Induktionstherapie, noch vorhandene, wenn auch lichtmikroskopisch nicht mehr erkennbare Leukämiezellen nachzuweisen (messbare residuale Erkrankung = measurable residual disease = MRD). Das Ziel der Konsolidierungstherapie besteht in der Konsolidierung bzw. Festigung des Therapieerfolgs der Induktionstherapie, d.h. in der Elimination der MRD. Die Basis der Konsolidierungstherapie ist seit Jahren die Durchführung repetitiver Therapiezyklen mit hoch dosiertem Cytarabin. In der ELN-2017-Leitlinie werden 1–1,5 g/m2 für jüngere AML-Patienten empfohlen (L3). Eine weitere Intensivierung der Konsolidierungstherapie stellen die autologe und die allogene Stammzelltransplantation in erster CR dar. In Analysen der Subgruppen zeigten sich Vorteile bzw. Gleichwertigkeit für bestimmte Therapiemodalitäten (14). Diese Auswertungen stellen die Basis der risikoadaptierten Therapiestrategien dar, die unter dem Dach des Kompetenznetzes akute und chronische Leukämien in verschiedenen AML-Studiengruppen untersucht werden.
Risikogruppen
Der wichtigste prognostische Faktor für das Ansprechen auf die Chemotherapie, krankheitsfreies und Gesamtüberleben sind genetische Veränderungen in den AML-Blasten bei Diagnose (L3, 5). Da eine Vielzahl chromosomaler Aberrationen bei der AML vorkommt, wird eine Gruppierung in Risikogruppen vorgenommen.
Allgemein akzeptiert ist, dass die Core-Binding-Factor-AML [t(8;21), inv(16)/t(16;16)] (L3) Niedrigrisiko-Aberrationen darstellen mit hoher CR-Rate und günstigem OS. Allerdings gibt es auch innerhalb dieser Subgruppe prognostische Faktoren, die eine ungünstige Prognose vorhersagen (5). Dem stehen Hochrisikoaberrationen wie der komplexe Karyotyp [≥ 3 Aberrationen in Abwesenheit einer t(8;21), inv(16)/t(16;16), t(15;17), t(11q23)] (16), der monosomale Karyotyp (eine autosomale Monosomie in Kombination mit strukturellen Veränderungen oder zwei Monosomien) und Verlust des langen Arms von Chromosom 5 und/oder 7 gegenüber. Diese Patienten haben eine sehr ungünstige Prognose. Die allogene Familien- oder Fremdspendertransplantation steht bei diesen Patienten ganz im Vordergrund der Therapie.
Ebenfalls besteht Einigkeit über eine sehr ungünstige Prognose bei Patienten, die auf die ersten beiden Chemotherapiezyklen keine Remission (primär resistente Erkrankung) erreichen (17). Die Risikoeinteilung wird derzeit um molekulare Marker erweitert (z.B. Mutationen in FLT3, NPM1, CEBPA, DNMT3A, ASXL1, RUNX1, TP53), die gerade für die Risikostratifizierung von Patienten ohne zytogenetische Aberrationen (normale Karyotyp AML) eine entscheidende Rolle spielen.
Die aktuelle Risikostratifizierung des European LeukemiaNet (ELN) 2017 sieht nicht mehr vier, sondern nur noch drei prognostische Gruppen vor (L3). Dabei werden sowohl zytogenetische Aberrationen als auch molekulare Marker wie Mutationen in
NPM1, CEBPA, FLT3-ITD (inklusive Allellast) berücksichtigt (
› Tab. B.6-4; L3). Demnach fallen Patienten mit einem normalen Karyotyp und einer Mutation für
NPM1 oder doppelt mutiertem
CEBPA in Abwesenheit einer
FLT3-ITD
hoch (Allellast ≥ 0,5) in die prognostisch günstige Gruppe, zu der auch Patienten mit Core-Binding-Factor-AML gehören (L3). Patienten ohne
NPM1-Mutation mit oder ohne
FLT3-ITD
niedrig (Allellast < 0,5) sowie Patienten mit
NPM1-Mutation, aber
FLT3-ITD
hoch (Allellast ≥ 0,5) oder Patienten ohne biallelische Mutationen in
CEBPA werden hingegen der prognostisch intermediären Gruppe zugeordnet (L3).
Die allogene Transplantation vom Familienspender ist den anderen Konsolidierungsstrategien insbesondere bei Patienten mit hohem, aber auch bei denen mit mittlerem Rezidivrisiko bezüglich RFS und OS überlegen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Transplantat von einem Familien- oder einem HLA-kompatiblen Fremdspender kommt (18). Hierbei ist ein hohes Risiko nicht nur durch zytogenetische Veränderungen, sondern zusätzlich durch ein fehlendes Ansprechen auf die Induktionstherapie als Ausdruck der Chemoresistenz definiert worden.
Der Einsatz der allogenen Transplantation bei Patienten mit mittlerem Rezidivrisiko muss unter Berücksichtigung der molekularen Marker bewertet werden. In der Gruppe der Patienten mit normalem Karyotyp ist bei Vorliegen der ungünstigen Genotypen FLT3-ITDhigh oder auch bei Fehlen der günstigen Veränderungen mit einer Reduktion des Rezidivrisikos nach allogener Transplantation zu rechnen. Im Gegensatz dazu kann durch die allogene Transplantation bei Patienten mit prognostisch günstigen Veränderungen wie CBF-Leukämien oder normalem Karyotyp und einer günstigen Mutation, d.h. mutiertes NPM1 ohne begleitende FLT3-ITDhoch, keine Verbesserung des RFS erzielt werden (15). Bei biallelischer CEBPA-Mutation kann durch autologe oder allogene Stammzelltransplantation das rezidivfreie Überleben, nicht aber das Gesamtüberleben verbessert werden (4).
Therapie der AML bei älteren Patienten
Bei älteren Patienten stellt die Behandlung der AML eine besondere Herausforderung dar. Dies beruht zum einen auf einer Zunahme von signifikanten Komorbiditäten, die die Möglichkeiten einer intensiven Therapie einschränken, zum anderen auf dem häufigen Vorliegen eines ungünstigen Risikoprofils hinsichtlich der zytogenetischen und molekularen Aberrationen. Letzteres erklärt sich auch dadurch, dass die AML bei älteren Patienten häufiger aus einem MDS hervorgeht und die hierfür typischen zytogenetischen Aberrationen prognostisch ungünstig sind. Im Gegensatz zu jüngeren AML-Patienten konnten bei älteren Patienten trotz intensiver Induktionstherapien die Langzeitergebnisse in den letzten Jahren nicht verbessert werden (19). Konsensus besteht jedoch, dass bei selektionierten, älteren Patienten, die sich durch einen guten Allgemeinzustand und fehlende Komorbiditäten auszeichnen, die intensive Chemotherapie einer supportiven oder dosisreduzierten Therapie bezüglich Langzeitüberleben und Lebensqualität überlegen ist (20). Um solche Patienten zu identifizieren, die möglicherweise von einer intensivierten Therapie profitieren, gibt es Beurteilungskriterien, die in verschiedenen Scores zusammengefasst werden. Die Scores berücksichtigen Krankheitscharakteristika und Komorbiditäten (21, 22).
Für Patienten, die nicht intensiv behandelt werden können, ist die Behandlung mit niedrig dosiertem Cytarabin einer Therapie mit Hydroxyurea überlegen. Weitere Behandlungsalternativen für diese Patientenpopulation stellen Decitabine (20 mg/m2 × 5 Tage i.v. alle 4 Wochen) sowie Azacitidin (75 mg/m2 × 7 Tage i.v. oder s.c. mit Wiederholung ab Tag 29) dar. Diese demethylierenden Substanzen sind niedrig dosiertem Cytarabin überlegen (23). Beide Medikamente sind in Deutschland für die Behandlung der AML zugelassen, falls die Patienten für eine allogene Stammzelltransplantation (Azacitidin) bzw. eine Standardinduktionstherapie (Decitabine) nicht infrage kommen. Sowohl bei Decitabine als auch bei Azacitidin tritt das Ansprechen langsam ein, meist sind vier bis sechs Zyklen notwendig.
Akute Promyelozytenleukämie (APL)
Die APL, definiert durch die balancierte Translokation t(15;17), nimmt innerhalb der AML eine Sonderstellung ein. Für diese Sonderform der AML steht mit All-trans-Retinol (ATRA) eine zielgerichtete Therapie zur Verfügung. Die frühere Standardinduktionstherapie mit ATRA und Idarubicin (AIDA) führt zu einer sehr hohen CR-Rate (> 90%) und einem sehr guten Langzeitüberleben (24). Das Hauptproblem bei der APL stellen Blutungskomplikationen dar, die während der Induktionstherapie ein enges Monitoring der Gerinnung und eine regelmäßige Substitution von Thrombozyten, Fibrinogen und Faktor XIII notwendig machen. Für die Patienten mit Niedrigrisiko-APL (Leukozyten < 10.000/μl bei Erstdiagnose) hat sich der Kombination aus ATRA und Arsentrioxid (ATO) sowohl in der Induktionstherapie als auch in der Konsolidierungstherapie als Standard etabliert (25). Auch für Patienten mit Hochsrisiko-APL (Leukozyten ≥ 10.000/μl) wird momentan in Studien untersucht, ob die Kombination aus ATRA und ATO (sowie Idarubicin in der Induktionstherapie zur initialen Zytoreduktion) der herkömmlichen ATRA-basierten Standardtherapie überlegen ist.
Definition des Therapieergebnisses
Das Therapieergebnis wird nach den Kriterien der internationalen Konsensuskonferenz kategorisiert (L3):
-
●
Komplette Remission (CR) ohne minimale Resterkrankung (CRMRD–): CR ohne Nachweis eines genetischen Markers, bestimmt mittels RT-qPCR, oder CR mit unauffälligem Muster in der Durchflusszytometrie.
-
●
Komplette Remission (CR): Blastenanteil im Knochenmark < 5% (in Relation zu allen Knochenmarkzellen), keine Blasten im peripheren Blut, keine Blasten mit Auer-Stäbchen, keine extramedulläre Manifestation, Regeneration der Hämatopoese mit Thrombozyten ≥ 100.000/μl und Neutrophilen ≥ 1000/μl.
-
●
Komplette Remission mit inkompletter hämatopoetischer Regeneration (CRi): Wie CR, jedoch ohne volle Regeneration der Neutrophilen (Neutrophile < 1000/μl) oder Thrombozyten (Thrombozyten < 100.000/μl).
-
●
Morphologische Leukämiezellfreiheit (MLFS): Blastenanteil im Knochenmark < 5%, keine Blasten im peripheren Blut, keine Blasten mit Auer-Stäbchen, keine extramedulläre Manifestation. Regeneration der Hämatopoese nicht erforderlich.
-
●
Partielle Remission (PR): Hämatologische Regeneration wie bei CR. Reduktion des Blastenanteils im Knochenmark auf 5–25%, Reduktion des Blastenanteils im Knochenmark um mindestens 50%, Rückbildung einer initial nachweisbaren extramedullären Manifestation.
-
●
Primär refraktäre AML (RD): Keine CR oder CRi nach zwei intensiven Induktionstherapiezyklen. Ausgeschlossen sind Patienten mit Tod in Aplasie oder Tod unbekannter Ursache.
-
●
Tod in Aplasie: Tod ≥ 7 Tage nach Abschluss der Chemotherapie ohne Regeneration der Hämatopoese, mit einem aplastischen oder hypoplastischen Knochenmark innerhalb von 7 Tagen vor dem Tod, kein Nachweis persistierender Leukämie.
-
●
Tod unbekannter Ursache: Tod vor Beendigung der Induktionstherapie oder < 7 Tage nach deren Beendigung oder ≥ 7 Tage nach deren Beendigung ohne Blasten im Blut, aber ohne bestätigenden Knochenmarkbefund.
-
●
Hämatologisches Rezidiv (nach CRMRD−,CR, CRi): Knochenmarkblasten ≥ 5% oder Wiederauftreten von Blasten im Blut oder Auftreten einer extramedullären Manifestation.
-
●
Molekulares Rezidiv (nach CRMRD–): erneutes Auftreten von MRD gemessen mit RT-qPCR oder Durchflusszytometrie.
Sollten bei der Remissionskontrolle nach einer Polychemotherapie zwischen 5 und 20% Blasten auftreten, muss die Knochenmarkpunktion nach ca. 1 Woche wiederholt werden, um ein Rezidiv von der normalen Regeneration zu unterscheiden.
ALL
Die Therapie der ALL erfolgt in Deutschland innerhalb der GMALL-Studiengruppe, die ebenfalls in das Kompetenznetz akute und chronische Leukämien integriert ist (L4). Die Therapie der ALL erfolgt entsprechend dem Protokoll der GMALL in Abhängigkeit von Subtyp, Risikoprofil und Therapieansprechen (MRD; 26). Folgende neuen Therapieansätze werden aktuell innerhalb der GMALL geprüft:
-
●
Therapiesteuerung durch MRD-Messung,
-
●
frühe allogene Transplantation bei Hochrisiko- und Höchstrisikokonstellation (siehe GMALL-Protokolle),
-
●
Rituximab bei allen B-Linien-ALL unabhängig von der CD20-Expression,
-
●
Imatinib bei der Philadelphia-Chromosom-positiven ALL,
-
●
Dasatinib bei der rezidivierten Philadelphia-Chromosom-positiven ALL,
-
●
Blinatumomab (MT103) bei rezidivierter ALL,
-
●
Inotuzumub Ozagamicin (CD22-Antikörper gekoppelt an Zytostatikum),
-
●
Nelarabine bei der T-ALL mit MRD, im Rezidiv oder bei primärem Therapieversagen.
Behandlung des Rezidivs
Die Wahrscheinlichkeit des Rezidivs ist sowohl für die AML als auch für die ALL in den ersten beiden Jahren nach Erreichen der CR am höchsten. Frühe Rezidive sind prognostisch ungünstig. Rezidive sind für den Patienten ein besonders schwerwiegendes psychosoziales Problem, dessen Bewältigung eine enge Zusammenarbeit zwischen Zentrum, Hausarzt und Patienten erfordert. Eine allogene Transplantation mit kurativem Ziel ist in dieser Situation i. d. R. indiziert, wobei dem Alter und der Komorbidität Rechnung getragen werden muss. Abhängig von Risikofaktoren kann der Erfolg einer erneuten Induktionschemotherapie (Re-Induktionstherapie) vorhergesagt werden, so dass i. d. R. die Transplantationsstrategie an diese Erfolgswahrscheinlichkeit angepasst wird. Bei einer niedrigen Erfolgswahrscheinlichkeit ist eine primäre Transplantation im Rahmen von kontrollierten Studien zu erwägen.
Für die rezidivierte ALL sind die Ergebnisse für den bispezifischen Antikörper Blinatumomab sehr vielversprechend, da auch Patienten mit einem Rezidiv ein signifikantes Ansprechen zeigen (27). Ähnliches gilt für Inotuzumab Ozagamicin (28). Für Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver ALL, die nicht auf Imatinib ansprechen, wird in ALL-Studien die Therapie mit anderen TKI, z.B. Dasatinib und Ponatinib, untersucht.
Supportive Therapie
Durch den Einsatz optimaler supportiver Maßnahmen ist die Letalität während der Induktionstherapie auf < 10% gesunken. Hierzu gehört die Unterbringung des Patienten in Zimmern mit HEPA-Luftfilterung, die reverse Isolation und eine gute Krankenhaushygiene.
Die Grundversorgung beginnt sofort nach Aufnahme. Sie umfasst die Flüssigkeitsbilanzierung (tägliche Urinausscheidung > 3000 ml), Allopurinol (1–2 × 300 mg/d p.o.), Substitution von Erythrozyten, Thrombozyten und ggf. Frischplasma, Haut- und Schleimhautpflege, Mundspülungen mit Hexetidin und Amphotericin sowie ein antibiotisches, antimykotisches und antivirales Interventionsprogramm bei Infektionen.
Thrombozyten werden bei thrombozytopener Blutung oder prophylaktisch bei einer Thrombozytenzahl < 10.000/μl (bei Fieber, Infekt bereits bei < 20.000/μl) substituiert. Patienten mit APL sind besonders durch Blutungsneigung gefährdet und bedürfen der intensiven hämostaseologischen Überwachung und Substitutionstherapie.
Erythrozyten werden bei einem Abfall des Hämoglobins auf < 8 g/dl transfundiert, bei symptomatischen, vor allem älteren Patienten bereits bei einem Abfall auf < 10 g/dl. Bei hohen Leukozytenwerten (> 100.000/μl) soll wegen der Gefahr einer Verschlimmerung eines Leukostasesyndroms das Hämoglobin nicht > 11 g/dl angehoben werden. Bei Frauen im Menstruationsalter Menolyse mit Norethisteronacetat, wobei Interaktionen mit den neuen Substanzen, z.B. TKI, zu beachten sind.
Infektionsprophylaxe und Infektionsbehandlung › Beitrag B 26.3.
Der Einsatz hämatopoetischer Wachstumsfaktoren wie G-CSF nach Zytostatikagabe zur Verkürzung der Neutropeniephase und Minderung des Infektionsrisikos ist bei der AML in der Induktionstherapie nicht routinemäßig indiziert, da er die Rate an schweren Infektionen und die therapieassoziierte Mortalität nicht reduziert, sondern erst nach den Konsolidierungszyklen. In der Induktionstherapie der ALL ist bei neutropenen Patienten die Gabe von G-CSF üblich und mit einer Reduktion der Rate schwerer Infektionen verbunden.
Immuntherapie
Der Wert einer Immuntherapie mit Interleukin-2 oder Interferon-α als Erhaltungstherapie bei residuellen Leukämiezellen ist nicht belegt und soll außerhalb von klinischen Studien nicht durchgeführt werden. Versuche zur Stärkung der Immunabwehr mit Organextrakten oder Frischzellen entbehren jeder wissenschaftlichen Basis und sind potenziell gefährlich. Aktuell werden Vakzinierungsstrategien bei der AML geprüft (29, 30); innerhalb Deutschlands sind verschiedene Peptid-Vakzinierungsstudien aktiv. Es gibt jedoch erste Hinweise, dass in Analogie zu Patienten mit soliden Tumoren auch AML-Patienten auf die Gabe von Checkpoint-Inhibitoren ansprechen können (31). Möglicherweise ist die Kombination von Checkpoint-Inhibitoren mit demethylierenden Substanzen besonders sinnvoll (30). Der genaue Stellenwert dieses Therapieansatzes in der AML-Therapie wird in Studien untersucht. Der Einsatz von genetisch modifizierten T-Zellen (CART cells), der bei der kindlichen ALL bereits erfolgreich war, wird auch bei Erwachsenen in Studien geprüft.
Laufende Studien
Die Therapiestudien der verschiedenen deutschen Studiengruppen sind aktuell über das Kompetenznetz „akute und chronische Leukämien“ abrufbar (
www.kompetenznetz-leukaemie.de). Hier werden die Ein- und Ausschlusskriterien, die Therapieprotokolle und die Adressen der Studienzentralen aufgeführt. Es ist selbstverständlich, dass klinische Abteilungen, die Patienten mit akuten Leukämien behandeln, Mitglied des Kompetenznetzes sind und ihre Patienten innerhalb von aktuellen Therapiestudien behandeln.
Autorenadressen
Prof. Dr. med. Arnold Ganser
Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation
Zentrum Innere Medizin
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuenberg-Str. 1
30625 Hannover
PD Dr. med. Felicitas Thol
Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation
Zentrum Innere Medizin
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuenberg-Str. 1
30625 Hannover
Prof. Dr. med. Richard F. Schlenk
NCT Trial Center
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Im Neuenheimer Feld 130.3
Marsilius Arkaden/Turm West 9 Stock
69120 Heidelberg