Stand Mai 2014
Definition und Basisinformation
Die venöse Thrombembolie (VTE) hat eine durchschnittliche Inzidenz von 1–2 auf 1000 Einwohner und manifestiert sich bei ca. 60% der Patienten als isolierte tiefe Venenthrombose (TVT), zumeist in den Beinvenen, und zu etwa 30% als Lungenarterienembolie (LAE) mit oder ohne begleitende TVT (1, 2).
Bei der LAE kommt es nach Verschleppung des peripheren Gerinnsels mit dem Blutstrom zu einer plötzlichen thrombembolischen Verlegung von Pulmonalarterien mit einer nachfolgenden, je nach Thrombusgröße mehr oder minder stark ausgeprägten Druckerhöhung im kleinen Kreislauf und ggf. der Ausbildung einer akuten Rechtsherzbelastung.
Mit verbesserter Aufmerksamkeit dem Krankheitsbild der LAE gegenüber, modernen Untersuchungsmethoden und risikoadaptierten Therapiestrategien ist in den letzten Jahren eine Senkung der Mortalität (von 20,7% in 2000 auf 10,6% in 2011) und eine Verkürzung der Krankenhausverweildauer (von 13,3 Tage in 2000 auf 10,2 Tage in 2011) zu beobachten (3).
Diagnostik
Leitsymptome der LAE, die eine weitere Abklärung erfordern, sind u.a. atemabhängige Thoraxschmerzen, Belastungsdyspnoe, Hämoptysen, bis hin zum kardiogenen Schock. Wie auch bei der Abklärung eines TVT-Verdachts stehen dem Arzt verschiedene diagnostische Testverfahren zur Verfügung, welche im Rahmen eines diagnostischen Stufenplans eine schnelle, sichere und kosteneffiziente Abklärung von LAE-Verdachtsfällen ermöglichen. Während für hämodynamisch instabile Patienten ein verkürztes diagnostisches Vorgehen zur schnellen Sicherung und Therapieeinleitung vorzunehmen ist (
Abb. C.7-1) (
Empfehlungsgrad C, Evidenzstärke I; L2), sollte die Vorgehensweise bei hämodynamisch stabilen Patienten berücksichtigen, dass diese häufig als Ausschlussdiagnostik erfolgt, weshalb für den diagnostischen Ablauf vor allem eine hohe Sensitivität und Spezifität sowie Kosteneffizienz im Vordergrund stehen (
Abb. C.7-2).
Allgemeine Diagnostik
Die alleinige klinische Untersuchung kann einen LAE-Verdacht weder bestätigen noch ausschließen. Zusammen mit EKG, Röntgen Thorax und Blutgasanalysen hat sie aber einen essenziellen Wert bei der Objektivierung der oft nicht eindeutigen Symptomatik und in der Abklärung wesentlicher Differenzialdiagnosen (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I; L1, L2).
Vortestwahrscheinlichkeit
Einfache, aber gerade in der Arztpraxis und in der Notfallaufnahme hilfreiche Werkzeuge sind die etablierten Scoresysteme, welche eine Einteilung in unterschiedliche LAE-Wahrscheinlichkeitsklassen und ein daran ausgerichtetes diagnostisches Vorgehen ermöglichen (
Tab. C.7-1). In allen aktuellen Leitlinien ist die Erhebung der Vortestwahrscheinlichkeit integraler Bestandteil des diagnostischen Stufenplans (
Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I; L1-2).
D-Dimer
Die Bedeutung der D-Dimer-Bestimmung liegt im negativen Vorhersagewert. In Kombination mit einer niedrigen oder mittleren Vortestwahrscheinlichkeit (s. o.) kann bei Verwendung eines sensitiven ELISA-Tests bei normalen D-Dimer-Werten das Vorliegen einer LAE mit 99-prozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I; L1-2). Nur bei sehr suggestiver Anamnese ist hier eine weitere (bildgebende) Abklärung überhaupt erforderlich. Erhöhte D-Dimere sind dagegen diagnostisch wenig hilfreich, da neben thrombembolischen Krankheiten u.a. auch Infektionen, Tumorerkrankungen und Schwangerschaften zu erhöhten D-Dimer-Werten führen können.
Echokardiographie
Die Echokardiographie ist mangels Sensitivität kein elementarer Teil der Akutdiagnostik (Empfehlungsgrad C, Evidenzstärke III; L2), kann aber in manchen Fällen den Embolus direkt nachweisen, z.B. als Transit-Thrombus im Herzen oder im Hauptstamm der A. pulmonalis. Der eigentliche Wert der Echokardiographie besteht in der Beurteilung der rechtsventrikulären Dysfunktion als Konsequenz der Pulmonalarterienverlegung. Diagnostische Kriterien sind u.a. eine Vergrößerung des rechten Ventrikels, die paradoxe Septumbeweglichkeit sowie die Dys- und Akinesie der freien rechtsventrikulären Wand und die Bestimmung des Druckgradienten über der Trikuspidalklappe. Da eine starke Korrelation zwischen der rechtsventrikulären Dysfunktion und der Mortalität besteht, kann die Echokardiographie bereits in der initialen Behandlungsphase eine Risikostratifizierung für die Patienten vornehmen und somit die Auswahl des therapeutischen Vorgehens beeinflussen, weshalb sie bei jedem Patienten mit vermuteter oder gesicherter LE so zeitig wie möglich zum Einsatz kommen sollte (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke IIa; L1).
Ventilations-/Perfusionsszintigraphie
Diese nuklearmedizinische Untersuchung ist im Vergleich zur CT-Angiographie mit einer geringen Strahlenbelastung, allerdings mit einem erhöhten technischen und zeitlichen Aufwand sowie limitierter Verfügbarkeit verbunden, weshalb sie nur für hämodynamisch stabile Patienten genutzt wird. Grundprinzip des Verfahrens ist der Nachweis einer Differenz zwischen perfundierten und ventilierten Lungenarealen. Wesentlicher Vorteil ist, dass dieser sog. Missmatch auch sehr kleine, periphere Thrombembolien darstellen kann. Nachteil ist, dass nur etwa 25% der Szintigraphiebefunde eindeutig positiv und weitere 25% eindeutig negativ sind. Somit kann die Szintigraphie allein nur in 50% der Patienten die Diagnose sichern bzw. ausschließen, für die verbleibenden 50% sind weitere Untersuchungen erforderlich. Dies erfordert eine kritische Befundinterpretation unter Berücksichtigung der klinischen Vortestwahrscheinlichkeit (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke IIa; L1, L2).
CT-Pulmonalisangiographie
Die kontrastmittelverstärkte CT-Angiographie (CTA) der Pulmonalarterien hat sich mittlerweile als Standardverfahren in der LAE-Diagnostik etabliert (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I; L1, L2). Mit der Einführung moderner computertomographischer Verfahren (mindestens 16-Zeilen-CTA) konnte für die LAE eine hohe Sensitivität und Spezifität erreicht werden. Nur bei hochgradigem LAE-Verdacht (z.B. suggestive Anamnese und erhöhte D-Dimere) sollte auch bei negativer CTA eine weitere Abklärung erfolgen, da periphere Embolien übersehen werden können. Wesentlicher Vorteil der CT-Diagnostik ist neben der Befundgenauigkeit und der Kürze der Untersuchungszeit die inzwischen gute allgemeine Verfügbarkeit im ambulanten und stationären Bereich.
Kompressionssonographie
Prinzipiell gibt es drei Gründe, bei vermuteter LAE einen Ultraschall der Beinvenen durchzuführen (
Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke I; L1, L2):
a)
Das Ergebnis der Ultraschalluntersuchung kann hilfreich sein, wenn die bildgebenden Befunde der Lungenstrombahn uneindeutig sind.
b)
Der Ultraschall kann hilfreich sein, die Anzahl der Patienten zu reduzieren, die eine Bildgebung der Lungenstrombahn benötigen.
c)
Bei hämodynamisch instabilen Patienten kann der Ultraschall als Bedside-Test auf der Intensivstation die schnelle Diagnosestellung der LAE unterstützen, so dass ohne zusätzlichen Transport- oder Zeitaufwand Differenzialdiagnosen eingegrenzt werden können.
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnose der LAE umfasst im Wesentlichen alle Krankheitsbilder, welche mit thorakalem Schmerz, Dyspnoe, Husten oder Hämoptysen einhergehen. Exemplarisch seien akute Koronarsyndrome (instabile Angina pectoris oder Myokardinfarkt), Aortendissektion, Pneumothorax, Pneumonie, Pleuritis, Lungenödem oder Bronchialkarzinom zu nennen. Bei Befall zwerchfellnaher Lungenabschnitte kommen darüber hinaus auch Erkrankungen des Epigastriums (Ulcus duodeni oder ventriculi, Pankreatitis oder Gallenkolik) in Betracht.
Ursachensuche bei gesicherter LAE
Bei eindeutig getriggerten VTE-Ereignissen, z.B. als Folge eines Unfalls, einer Operation oder langfristigen Immobilisation oder im Rahmen aktiver Tumorerkrankungen, kann auf eine weitere Ursachensuche in aller Regel verzichtet werden (L1).
Sollte die Ursache der VTE völlig unklar sein (sog. idiopathische VTE) oder nur ein „weicher“ Trigger (Langstreckenreise, hormonelle Kontrazeption, ambulante Operation) zu eruieren sein, ist eine weiterführende Ursachensuche zu empfehlen. Bei einem Manifestationsalter unter 50 Jahren oder bei positiver Familienanamnese ist eine Thrombophilieabklärung zu erwägen, während bei einem Manifestationsalter über 50 Jahre ein Malignomscreening gemäß der gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen sowie die Abklärung eines Antiphospholipidsyndroms im Vordergrund stehen (L1).
Risikoassessment/Stadieneinteilung
Die sofortige Risikostratifizierung dient der Abschätzung des individuellen Risikos eines Patienten, an der Lungenembolie zu versterben oder schwere Komplikationen zu entwickeln, mit dem Ziel einer individuellen risikoadaptierten Therapie. Die Notwendigkeit einer Risikostratifizierung besteht aufgrund der prognostischen Heterogenität von Patienten mit Lungenembolie: Während hämodynamisch instabile Patienten eine Mortalitätsrate von über 15% – in einigen Studien bis zu 65% (4–6) – haben, liegt die Mortalität bei hämodynamisch stabilen Patienten ohne rechtsventrikuläre (RV) Dysfunktion bei weniger als 1% (7–9). Aufgrund dessen wurde 2008 durch die European Society of Cardiology (ESC) erstmals eine risikoadaptierte Einteilung von Patienten mit Lungenembolie empfohlen (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke I; L1, L2) (10). Patienten mit hämodynamischer Instabilität (persistierende arterielle Hypotonie oder kardiogener Schock) werden als „Hochrisiko“- (europäische Definition [10]) oder massive (nordamerikanische Definition [11]) Lungenembolie eingeteilt. Die Einteilung in „Hochrisiko“- und „Nicht-Hochrisiko“-Patienten ermöglicht eine an die Dringlichkeit der Situation angepasste diagnostische Strategie und entscheidet über das therapeutische Vorgehen nach definitiver Bestätigung der Diagnose, welches von der ambulanten Therapie bis hin zur Thrombolyse reichen kann.
Für „Nicht-Hochrisiko“-Patienten wird eine weiterführende Risikostratifizierung zur Identifizierung derjenigen normotensiven Patienten, die möglicherweise von einer aggressiveren (rekanalisierenden) Therapie profitieren, empfohlen (Empfehlungsgrad